Gerichtsbeobachtungen von peri e.V. zum zweiten Prozesstag gegen Fendi Özmen / 30. Januar 2013

Als erster wurde der Polizist vernommen, der seinerzeit Arzus Anzeige aufgenommen hatte. Nach Arzus Angaben sei sie wegen der von Alex geschickten Rosen vom Vater heftig geohrfeigt worden und vom Bruder Osman mit einem Stock von der Stärke eines Nudelholzes verprügelt worden. Sämtliche Familienmitglieder hätten dabei im Wohnzimmer gesessen und zugesehen, offenbar getreu dem Motto: Wenn du eine schlägst, erziehst du viele.

Arzu ging von Tötungsabsichten ihrer Eltern aus

Man habe Arzu mit erheblichem Übel gedroht, so dass sie nicht wagte, das Haus zu verlassen. Es sei offenbar von Lebensbedrohungen auszugehen gewesen. Laut Protokoll hatte Arzu gesagt: „Ich denke, dass sie (die Eltern) mich sogar umbringen werden.“ Wäre Arzu gegangen, wäre man sofort hinter ihr her gewesen. Der Zeuge hatte den Eindruck, dass Arzu viel mehr erlitten hatte, als sie angab, weil sie immer noch in einem gewissen Loyalitätskonflikt gestanden habe; sie habe bei der Schilderung ihres Martyriums eher untertrieben, um die Eltern nicht noch mehr zu belasten.

Aus der Schilderung der Gesamtumstände sei dem Zeugen klar gewesen, dass der Vater derjenige war, der das Sagen hatte und dem alle folgten. Der Vater sei auch derjenige gewesen, der Arzu das Portemonnaie weggenommen habe, in dem sich sämtliche Papiere befanden.

Bäckermeister Müller beschreibt Arzus Vater

Anschließend wurde der Bäckermeister Müller gehört, bei dem Arzu gearbeitet hatte und bei dem sie Alexander kennengelernt hatte. Dieser wurde gebeten, den angeklagten Vater als Person zu beschreiben: Der Vater erschien Herrn Müller als vorbildlich. die Kinder seien immer adrett gekleidet und gut versorgt gewesen. Probleme seien immer vom Vater geklärt worden, weil dieser das Sagen gehabt hätte. So sei er eines Tages, als einer seiner Söhne aus der Bäckerei etwas mitgenommen hatte, dort erschienen, um die Angelegenheit zu bereinigen. Es habe sich nie eines der Kinder über Schläge beschwert, auch Arzu nicht.

Nachdem Arzu geflohen war, seien Mutter und Kinder mehrfach gekommen, um sich bei Müllers nach Arzus Verbleib zu erkundigen. Eines Tages sei die Muter mit Elvis in die Bäckerei gekommen, weil sie von Herrn Müller eine Telefonnummer von Arzu habe erfahren wollen. Herr Müller habe in dem Zusammenhang gefragt, was passieren werde, wenn Arzu wiederkäme - ob man die Angelegenheit mit Gewalt beenden werde. Dies habe Elvis bejaht.

Als Herr Müller nach Arzus Auffinden mit den Özmens sprechen wollte und sich mit einem jesidischen Geistlichen zusammen dorthin begab, sei er von Herrn Özmen der Tür verwiesen worden: Der Vater sei sehr aufgebracht gewesen und habe nichts mehr mit Müllers zu tun haben wollen (und dies, obwohl man jahrelang eine gute Nachbarschaft gepflegt hatte, Mutter und Kinder dort schon gearbeitet hatten und Müllers häufig abends übriggebliebene Backwaren an Özmens verschenkt hatten).

Herr Müller hatte mit Arzu nach ihrer Flucht noch einmal telefoniert, als diese im Frauenhaus gewesen war. Arzu sagte ihm bei diesem Gespräch, dass sie tot sei, wenn ihre Geschwister sie fänden. Herr Müller fragte daraufhin, was die Eltern denn dazu sagten, und Arzus Antwort war: „Die haben das besprochen.“

Arzu hat anfangs die Reaktion ihrer Familie unterschätzt

Der Zeuge K., Arzus Freund, wurde noch einmal nach Arzus Ängsten befragt. Er erklärte, dass Arzu Angst hatte, entweder umgebracht oder in die Türkei verschleppt zu werden. Arzu habe ihm gesagt, dass sie in der Zeit, als sie eingesperrt war, ein Gespräch zwischen ihrem Vater und einem der Brüder gehört habe, in dem gesagt wurde, es sei das Einfachste, sie im Wald zu erschießen und zu verscharren.

Arzu sei bei Beginn der Beziehung nicht bewusst gewesen, dass ihre Familie so stark reagieren würde. Man habe an ihr ein Exempel statuiert, als alle den Prügeln, die sie vom Vater und Osman bekam, zugeschaut hätten.

Nach der Flucht habe Arzu sehr viel geweint, weil sie nichts mehr hatte außer dem, was sie auf dem Leib trug; insbesondere sei sie unglücklich gewesen, dass sie nun keine Familie mehr hatte.

Arzus Vater könnte wegen Beihilfe zum Mord verurteilt werden

Nach einer kurzen Anhörung eines Zeugen, der bei dem Überfall am 1.11.11 dabei war, wurden aus dem Urteil des ersten Verfahrens Auszüge vorgelesen, die den Sachverhalt des Überfalls schildern.

Im Anschluss daran erteilte das Gericht den rechtlichen Hinweis, dass auch eine Verurteilung wegen Beihilfe zum Mord durch Unterlassung in Betracht käme, nämlich dann, wenn dem Vater der Vorwurf gemacht werden könnte, dass er seine Kinder zu keinem Zeitpunkt der Tatausführung gestoppt hatte, obwohl ihm dies möglich gewesen wäre, im Sinne von: „Halt, ihr dürft Arzu nichts tun.“

Eine unkooperative Zeugin tritt auf

Es trat sodann eine Zeugin auf, die mit der Familie Özmen verwandt ist, aber nicht so nah, als dass sie sich auf ein Zeugnisverweigerungsrecht berufen könnte. Dies machte sie dadurch wett, dass sie eindrucksvoll mauerte: Sie sei zwar am Abend des 31.10.11 bei Özmens gewesen, aber man habe eben ein bisschen im Internet surfen wollen. Auf den Vorhalt des Richters hin, dass man doch wohl offenbar Arzus Account bei SchülerVZ habe knacken wollen, fiel der Zeugin immerhin ein, dass man Arzu habe suchen wollen und dabei habe nachsehen wollen, wann sie sich eingeloggt hatte.

Zu diesem Zeitpunkt seien außer ihr und Sirin, die die treibende Kraft gewesen sei, noch der Angeklagte nebst Frau im Raum gewesen; über Fendi könne sie aber nichts sagen, sie hätte nicht viel mit ihm zu tun gehabt und könne ihn schlecht einschätzen.

Sie habe auch keine Ahnung, wie es die Özmens mit der Religion hielten und ob Sirin jemals auch einen deutschen Freund gewollt habe. Es sei nie darüber gesprochen worden. Überhaupt wurde der Eindruck großer Sprachlosigkeit erweckt. Arzu sei auch zu keinem Zeitpunkt bei der Suche beschimpft oder gar als Schlampe bezeichnet worden.

Der Rechtsmediziner wirkt betroffener als der Vater

Nun wurde der Rechtsmediziner gehört; seine Ausführungen entsprachen denen des ersten Prozesses, so dass sie hier nicht wiederholt werden müssen. Er bestätigte allerdings den Eindruck, dass es sich um eine Hinrichtung gehandelt habe.

Auf die Frage des Richters, was in ihm vorgehe, erwiderte der Rechtsmediziner, dass die Bilder allein ihn jetzt nicht so erschrecken würden, denn sonst könnte er ja seinen Beruf nicht ausüben. Was ihm allerdings zu schaffen mache, sei die Geschichte, die hinter dem reinen Untersuchungsobjekt stehe, damit hätte er schon ein Problem.

Hier möchte ich darauf hinweisen, dass der Angeklagte nun den zweiten Tag mit absolut unbewegter Miene auf seinem Stuhl saß. Selbst bei der Schilderung der Schussverletzungen und der Darstellung, dass Arzu still gelegen hatte, als sie erschossen wurde, regte sich kein Muskel beim Angeklagten. Offenkundig hatte der Rechtsmediziner (ein Profi, der schreckliche Bilder gewohnt ist) ein größeres Problem mit diesem Fall als der Vater der Getöteten.

Professor Kizilhan erläutert das Jesidentum

Nun wurde der Sachverständige Professor Kizilhan als Experte für das Jesidentum angehört. Seine allgemeinen Ausführungen entsprechen denen des ersten Verfahrens, so dass auf diese verwiesen wird und nachfolgend nur auf die Aspekte eingegangen wird, die für aktuelle Verfahren von Bedeutung sind.

Hervorzuheben sei, noch einmal, dass das Kollektiv alles sei und die Interessen des Einzelnen zurückzustehen hätten. Eine (wegen einer vermeintlichen Ehrverletzung) schwache Familie werde ausgegrenzt und sei selber ehrlos; sie werde von allen ausgeschlossen. Es könne daher sein, dass zum Schutze des Kollektivs eine Person geopfert wird, um die Ehre wiederherzustellen. Begehe ein Kind einen Fehler, so sei dies der Fehler der ganzen Familie. Man schäme sich, weil man es nicht geschafft habe, das Kind nach den Normen zu erziehen. Dabei spiele die (jesidische) Öffentlichkeit eine große Rolle: Solange die „Verfehlung“ im inneren Familienverbund bleibt und nicht bekannt wird, liege noch kein Ehrverlust vor. Wenn aber die Gerüchteküche erste einmal koche, sähen sich die Betroffenen in einer Zwangslage zu handeln. Dieses Handeln könne in der Verstoßung, im bloßen Schlagen, aber auch in der Tötung bestehen.

Zur Rolle des Oberhauptes führte Kizilhan noch aus, dass, wenn der Vater sagt, dass nun Schluss sei, sich die Kinder auch daran hielten, weil der Vater damit signalisiere, dass er nicht mehr leide. Insofern hätte der Angeklagte auf den Hinweis des Polizisten hin, er solle auf seine Kinder einwirken, eine Änderung des Ablaufes erzielen können.

Angesprochen auf die Aussage einer (anonym bleibenden) Zeugin, dass es eine Gesetzmäßigkeit gebe, dass bei jeder Ermordung der Vater sein Placet geben müsse, meinte Kizilhan, dass es keinen Automatismus diesbezüglich gebe; es könne auch sein, dass der Täter sich opfern wolle.

Befragt nach der Reaktion zahlreicher Jesiden auf die Berichterstattung im ersten Verfahren, nämlich dass man als Mörder die „Russenmafia“ sah, meinte Kizilhan, dass allen bewusst ist, dass es nicht richtig ist, jemanden umzubringen. Wenn dies dann trotzdem geschehe, erfolge eine Kompensation in der Form, dass ein anderer Schuldiger gesucht werde.

Video zeigt unaufgeregten Vater

Es wurde den Prozessbeteiligten noch ein Video aus der Nacht des Überfalls vorgeführt, das einer der Polizisten in der Wohnung Özmen aufgenommen hat: Dort sitzt offenbar Fendi ruhig und entspannt im Wohnzimmer, während Frau A. sich über die zerstörte Tür aufregt.

Ein Zeuge macht widersprüchliche Aussagen

Nun wurde ein Zeuge gehört, der mehrfach die Familie Özmen nach dem Überfall besucht hatte. Er sollte berichten, was man sich so erzählt habe. Wundersamerweise hatte man in der ganzen Zeit, in der dieser Zeuge bei den Özmens war, sich überhaupt nicht über den Fall Arzu unerhalten. Eigentlich kenne man sich gar nicht; die frühere Generation sei befreundet gewesen. Man sei nur so zusammen gewesen.

Der Richter hielt dem Zeugen daraufhin seine Aussage bei der Polizei vor. Dort hatte der nämlich berichtet, dass man den Angeklagten gefragt habe, wo denn die Tochter sei, und dieser daraufhin erklärt habe, die sei von Zuhältern geholt worden. Auf diesen Vorhalt besann sich der Zeuge nun darauf, dass er gar nichts mehr wisse und man so geredet habe, man habe sich das so gedacht. Es habe viele Spekulationen im Wohnzimmer gegeben, die er nicht zuordnen könne.

Arbeitskollegen wissen nichts vom Privatleben der Özmens

Zum Schluss wurden zwei Zeugen gehört, die Arbeitskollegen von Fendi Özmen waren und sind, und das seit immerhin 18 bzw. 21 Jahren. Beide berichteten übereinstimmend, dass es sich bei Fendi um einen ruhigen, unauffälligen Mann handelt, der verlässlich, pünktlich und einsatzbereit war und ist, über den im Job nichts Negatives gesagt werden könne.

Auffällig (und für mich als Rheinländerin kaum nachvollziehbar) war allerdings, dass keiner von beiden mit Fendi Özmen jemals ein privates Wort gesprochen hat, weder während der Arbeit noch in den Pausen noch nach Feierabend. Fendi habe auch an keinerlei Festlichkeiten (z.B. Weihnachtsfeier) der Firma teilgenommen, auch über seine Kinder habe er nie gesprochen. Auch sei nie ein Kollege bei Özmens gewesen; anderseits habe ihn auch nie ein Kollege gefragt, warum er nie mitkäme.

Nach dem Verschwinden von Arzu hatte der eine Kollege wohl danach gefragt, dass da etwas in der Zeitung stand; Fendi habe nur gesagt, das sei nicht seine Tochter, die verschwunden wäre.

Nach dem 1.11.11 habe Fendi eine Krankmeldung für drei Tage gehabt; seit der Zeit arbeite er so wie früher, man merke ihm nichts an. Er müsse wohl zwei Leben führen: eines in der Firma, eines zu Hause.

Abschließend wurde ein Sachverständiger zur Frage der Schuldfähigkeit des Angeklagten befragt; Anhaltspunkte für eine eingeschränkte Schuldfähigkeit bestehen nicht.

Das Verfahren wird am 01.02.2013 fortgeführt.

Brigitta Biehl
2. Vorsitzende peri e.V.
Detmold, 28.01.2013

 

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