Gerichtsbeobachtungen von peri e.V. zum Ehrenmord-Prozess im Fall Lareeb Khan / 02. Oktober 2015

Am 02. Oktober 2015 fand der zweite Verhandlungstag im Ehrenmord-Prozess in Darmstadt statt. Den angeklagten Eltern wird vorgeworfen, ihre erst 19-jährige Tochter Lareeb getötet zu haben.

 

Zu Beginn des Verhandlungstages verlas der Vorsitzende Richter die Schreiben zweier Anwälte, die für den Onkel und die Tante der Verwertung derer Aussagen bei der Polizei widersprachen – nachdem beide am ersten Verhandlungstag nach ausführlicher Belehrung der Verwertung zunächst zugestimmt hatten.


Als Erste wurden die beiden Polizisten gehört, die die ersten Ermittlungen aufgenommen hatten. Sie berichteten übereinstimmend, dass man in der Handtasche der Mutter einen Anhörungsbogen der Polizei, adressiert an Lareeb, gefunden hatte, in dem u.a. der Vorwurf des Diebstahls von Kondomen aufgeführt worden war. 


Als man der Mutter die Todesnachricht überbracht hatte, erschien deren Reaktion zunächst einmal „normal“, d.h. sie habe geschrien, geklagt, gejammert. Im Aufenthaltsraum der Polizei habe die Mutter dann ein besorgniserregendes Verhalten an den Tag legte und plötzlich dermaßen hyperventiliert, dass die Polizei den Notarzt hinzurief, der die gesundheitliche Verfassung der Mutter prüfen sollte. Er maß u.a. den Blutdruck und stellte zwar einen psychomotorischen Erregungszustand fest, ansonsten waren aber die Vitalfunktionen völlig normal, sodass nichts weiter zu veranlassen war (diese Angaben wurden später von dem Notarzt bestätigt).


Seitens der Polizei habe sich der Verdacht auch relativ schnell auf die Eltern konzentriert 


Zum einen hatte man schon die Vermutung, dass die Tatsache, dass den Eltern der o.g. Anhörungsbogen bekannt war, möglicherweise zu einer heftigen Reaktion der Eltern geführt hatte, zum anderen war relativ schnell klar, dass die erste Einlassung der Eltern widerlegt werden konnte: Der Vater hatte erklärt, er hätte die Tochter um 5:30 Uhr geweckt, diese hätte dann in ihrem Zimmer gebetet, während er, der Vater, im Wohnzimmer sein Gebet verrichtete. Dann sei sie in die Schule gegangen. Da aber klar war, dass Lareeb zu diesem Zeitpunkt schon tot war, konnten diese Angaben der Eltern nicht stimmen.


Es sei auch bereits am 28.01.2015 mit dem Vater von Lareebs Freund gesprochen worden, der berichtete, dass die Hochzeit wohl in der kommenden Woche sein sollte. Er selber, der Vater, kenne jedoch das Mädchen nicht, er wisse auch nicht den Namen und kenne auch die Familie nicht. „Es klang ein bisschen durch, dass sie (Lareeb und ihr Freund) sich ja selber kennengelernt hatten“, so der Polizist.


„Es wird alles gut, die Gemeinde wird dich und uns wieder aufnehmen“


Zum Gespräch zwischen dem Vater und Lareebs Schwester in der U-Haft konnte der Polizeibeamte mitteilen, dass Needa ihren Vater gefragt hatte, ob er „das“ gewesen sei, woraufhin dieser meinte „Sie - Lareeb - wollte mich töten“. Dies hatte Needa dann mit „das glaube ich nicht“ quittiert. Der Vater hätte dann noch gemeint „Es wird alles gut, die Gemeinde wird Dich und uns wieder aufnehmen“ und „Es ist geschehen, ich weiß auch nicht wie“.


Den vom Vater erbetenen Abschiedskuss hätte Needa ihm verweigert. 


Dieser Polizist hatte seinerzeit auch den Imam vernommen, der von Wagishauser beauftragt worden war, sich um die Familie zu kümmern. Er sei zuständig für die Erziehung aller Gemeindemitglieder (also auch der Erwachsenen).


Es wurde dann aus den E-Mails vorgelesen, die Lareeb an Abdullah Wagishauser geschrieben hatte. So hieß es in der 2. E-Mail: „Mein Vater ist Führer und Kassierer der Mitgliedsbeiträge. Sie kennen ihn bestimmt sehr gut. Mama ist dafür zuständig, wie man den Koran richtig liest. Ich arbeite auch auf nationaler Ebene (der Gemeinde). Ich würde nie schreiben, dass meine Eltern mich schlagen. Ich bitte, dass wir immer in der Gemeinde bleiben.“


Dem wurde die 1. Mail vom 16.05.2014 gegenübergestellt, in der es u.a. hieß: „Meine Mutter begann mich zu schlagen, sodass ich noch immer Schmerzen habe. Sie knallte meinen Kopf gegen die Wand und beleidigte mich… Vater erzählt allen, dass der Junge mich verfolgt. Dabei haben wir nichts Schlechtes getan, immer nur geredet. Er hat mich noch nie angefasst. Ich werde am Tag 24 Stunden kontrolliert, sie (die Eltern) stehen vor der Klasse, bis ich die Schule aushabe. Sie haben mir verboten, weiter zu studieren. Wenn meine Eltern mitbekommen, dass ich diese Mail geschrieben habe, bringen sie mich um. Es ist wirklich ganz extrem geworden. Bitte antworten Sie auf folgende Adresse“ (es folgt der Account vom Freund).


Wagishauser hatte dann dem Imam eine Mail geschickt, dass erwachsene Kinder nicht geschlagen werden, sonst werde die ganze Gemeinde (Jamaat) in den Schmutz gezogen. 


Das Ergebnis des Gesprächs mit Lareeb und ihren Eltern war dann eben die 2. Mail – auch eine Art Konfliktlösung, indem die Vorwürfe zurückgenommen werden, sodass es nichts mehr zu schlichten gibt!


Der Vater des Freundes hätte allerdings den sogenannten Vermittlungsversuchen der Gemeinde sehr kritisch gegenübergestanden: Er und sein Sohn seien schließlich freie Menschen. Er hätte keine Lust, von Leuten unter Druck gesetzt zu werden, die aus Pakistan kommen und keine Ahnung (vom hiesigen Leben) hätten. Vielleicht sei diese Vermittlung ja gut gemeint gewesen, aber seine Kinder seien in Deutschland geboren und verhielten sich wie deutsche Kinder. Jemand, der aus Pakistan kommt, verstehe das nicht.


Wurde die Mordausführung geplant und vorbereitet?


Es wurde dann über die Videokamera berichtet, die im Haus angebracht war, nämlich eine, die den Hauseingang aufnahm und dann die im Aufzug, von der ja bereits am 1. Prozesstag die Rede war. Man konnte feststellen, dass Lareebs Vater am 27.01.2015 gegen 15:34 Uhr vor der Kameralinse einen Aufkleber anbringt.


Am 28.01.2015 um 4:11 Uhr nimmt die Kamera des Hauseingangs auf, wie die Tür des Aufzugs unten aufgeht und eine Frau einen Schirm aufspannt und vor die Kamera hält. Um die Kamera zu verdecken, sei es notwendig, erst einmal ein bis zwei Schritte auf die Kamera zuzugehen, statt zum Ausgang zu gehen. Man sieht dann gerade noch, wie eine Person mit einem Rollstuhl aus dem Aufzug tritt. 


Bei nochmaliger Überprüfung hätte man dann festgestellt, dass bereits am 27.01.2015 ein ebensolcher Vorgang beobachtet wird, und zwar um 15:38 Uhr. Dem Polizisten erschien dies „wie eine Probe“


Man habe auch die Videos im Haus des Onkels im Zeitraum seit dem 26.01.2015 ausgewertet. In dieser Zeit sei jedenfalls kein Rollstuhl aus dem Haus bewegt worden.


Offenbar kam es bereits in der Vergangen zu innerfamiliärer Gewalt


Eine weitere Polizistin berichtete dann von den Ergebnissen der Befragung von Lareebs Ärzten: einmal der Hausärztin, die davon berichtete, dass immer wieder Bauchschmerzen und erhebliche Gewichtsabnahmen ein Thema waren und dann ein Radiologe, der im Juli 2014 ein ca. 4 Wochen altes Schädeltrauma feststellte.


„Bei uns interessieren sich die Väter nur bis zu einem gewissen Zeitpunkt , was ihre Töchter machen.“


Es wurde dann der Kripobeamte gehört, der die Vernehmung des angeklagten Vaters durchgeführt hatte.


Er berichtete, dass der Vater bei seiner 2. Vernehmung, als er damit konfrontiert wurde, dass seine erste Einlassung nicht stimmen konnte, den Tatvorwurf zugab. Zum Vorgeschehen, insbesondere dem Anhörungsbogen befragt, erklärte der Vater, davon nichts zu wissen. Seine Frau hätte ihm erzählt, dass dieser Brief einen „negativen Inhalt“ hätte. „Bei uns ist es so, dass es Väter nur bis zu einem gewissen Zeitpunkt interessiert, was ihre Töchter machen.“


Auf die Frage, warum er die Kamera abgeklebt hätte, habe der Vater geantwortet, er hätte wegen der Renovierungsarbeiten im Haus gedacht, es sein ein Klebstreifen abgegangen und er hätte ihn wieder vor der Linse angebracht.


Als dann die Video-Auswertung vorlag und der Vater damit konfrontiert wurde, hätte er dann sein Geständnis abgelegt.


Ihr Vater erwürgte Laareb im Schlaf


Lareeb sei beim Besuch ihrer Schwägerin so respektlos gewesen, dass es eine heftige Auseinandersetzung gegeben habe. Dabei hätte Lareeb ihn gestoßen, sodass er eine Wunde am Kopf hatte. Lareeb sei ins Bett gegangen, er, der Vater, auch. Er sei aber so wütend gewesen, dass er seiner Frau gesagt, hatte, er werde jetzt Lareeb töten. Dann sei er aufgestanden, seine Frau sei auch mitgekommen. Sie hätte zu allem nichts gesagt. Seine Tochter hätte auf dem Rücken schlafend auf dem Bett gelegen. Er hätte sich dann auf sie gekniet und sie gewürgt. Als Lareeb nach einiger Zeit aufwachte, konnte sie sich nicht wehren, weil er ja auf ihr kniete und die Arme eingeklemmt hatte; auch schreien konnte sie nicht, weil er ja so fest würgte. Nach vielleicht 5 Minuten hätte er gemerkt, dass sie tot war, hätte aber noch weiter gewürgt. Seine Frau hätte dabeigestanden und nichts gesagt oder gemacht.


Er hätte dann von Lareeb abgelassen und ihr eine Jacke angezogen, dann sei er rausgegangen, damit seine Frau Lareeb weiter umziehen konnte, also die Pyjama-Hose aus und die Straßenhose an, auch einen Schal und eine Kopfbedeckung; alle Körperteile sollten bedeckt sein. „Wir wollten sicherstellen, dass keiner unbekleidete Stellen sieht und dass man die Würgemale nicht sieht“. Die Tasche und die Schulsachen hätte man mitgegeben, um sie loszuwerden. Er hätte die Tochter dann in den Rollstuhl gesetzt und in den Aufzug gefahren. Den Schirm hätte man aufgespannt, weil es geregnet hätte.
In der Garage hätte er dann die Leiche ins Auto gesetzt, sei zum Parkplatz gefahren und hätte Lareeb dann hinter das Fahrzeug gelegt.


Das erste Mal hätte er am 27.01.2015 so gegen 24 Uhr gedacht, dass er Lareeb umbringen müsse. Aber: „Wenn die Eltern des Freundes gesagt hätten, dass er die Lareeb hätte heiraten dürfen, wäre das alles nicht passiert.“


Needa wollte auf keinen Fall zurück zu ihren Eltern


Es wurde dann die Polizistin angehört, die als Erste mit Needa gesprochen hatte, als sie dieser die Nachricht vom Tod der Schwester überbracht hatte. Needa hätte zunächst Streitigkeiten im Elternhaus verneint und eigene Theorien entworfen, was geschehen sein könnte („das war ein Mann“).


Am 29.01.2015 hätte Needa sich dann von sich aus an die Polizistin gewandt und mit ihr sprechen wollen. Diese hatte Needa darauf aufmerksam gemacht, dass sie ein Zeugnisverweigerungsrecht hat, aber Needa hätte erklärt, dass sie wolle, dass „die Sache aufgeklärt wird“ und der Schutz der Eltern für sie nicht im Vordergrund stehe.


Ihre größte Sorge sei zu dem Zeitpunkt gewesen, dass sie wieder zu den Eltern zurückkehren müsste.


Needa hätte gesagt, dass sie glaube, dass alles von Anfang an geplant gewesen sei, denn „meine Mutter hat erst vor ein paar Tagen den Rollstuhl vom Onkel geholt“, dabei hätte sie ihn gar nicht gebraucht. Ausdrücklich hätte Needa gesagt „meiner Mutter kann man alles zutrauen, sie kann richtig böse sein.“


Am Vortag, also dem 28.01.2015, sei ihre Mutter, als sie, Needa, wach wurde, schon in der Wohnung der Tante gewesen und sei dort so ganz anders gewesen: Sie sei auffällig fröhlich gewesen, hätte die Tante immer wieder umarmt und viel gelacht. 


Auf der Fahrt zum Bestattungsunternehmen hätte Needa deutlich gemacht, dass die Mutter die treibende Kraft gewesen sein dürfte, dass der Vater möglicherweise zugedrückt hätte, aber der Mutter wäre alles zuzutrauen; vor der hätte sie, Needa, Angst. 


„Sollte der Streit zu extrem werden, nehmen wir auch den Tod in Kauf“


Der Polizist, der die angeklagte Mutter vernommen hatte, sagte aus, dass diese bei ihrer zweiten Vernehmung eingeräumt habe, dass der Verlauf ein anderer gewesen sei als zunächst gesagt (als sie ja noch behauptet hatte, Lareeb sei zur Schule gegangen): Es hätte gegen 2 Uhr einen Streit zwischen Lareeb und ihrem Vater gegeben. Lareeb hätte die Hand gegen ihren Vater erhoben. Sie hätte dazwischen gehen wollen. Es hätte dann wechselseitige Schläge gegeben, wobei es der Mutter wichtig war zu betonen, dass es da zum ersten Mal zu Gewalt in der Familie gekommen war. 


Bei diesem Streit habe der Vater Lareeb am Hals gepackt, beide seien auf das Bett gefallen, dann hätte der Vater ihr Mund und Nase zugehalten und letztlich am Hals gewürgt, und zwar über einen längeren Zeitraum.


Befragt zum Anhörungsbogen der Polizei in ihrer Handtasche hätte die Mutter gesagt, die Eltern wollten Lareeb zur Rede stellen „und sollte der Streit zu extrem werden, dann nehmen wir auch den Tod in Kauf.“


Der Polizist hatte die Mutter dann gefragt, was geschehen wäre, wenn in der Gemeinde etwas über Lareebs vorehelichen Sex bekannt geworden wäre. „Dann hätte man schlecht über uns gesprochen, vielleicht hätte man uns auch aus der Gemeinde ausgeschlossen und ausgestoßen.“ Sie und ihr Mann hätten über ihr Schicksal geweint. 


Allein ein Rauswurf von Lareeb aus der elterlichen Wohnung sei keine Option gewesen, also hätten die Eltern beraten, dass Lareeb „eliminiert“ werden müsse (dieser Begriff ist vom vernehmenden Beamten nachgefragt und vom Dolmetscher bestätigt worden).


Befragt, warum die Eltern Lareebs Leiche noch umgezogen hatten, habe die Mutter geantwortet: „Damit wollten wir von UNS ablenken." Dieses „uns“ sei vom vernehmenden Beamten ausdrücklich noch einmal hinterfragt worden. 


Es wurden abschließend noch die Beamten des Erkennungsdienstes gehört. Hierbei wurde auf einen Zettel aufmerksam gemacht, den man bei Lareeb gefunden hatte und der begann mit „es darf nicht erlaubt sein, unter dem Vorwand der Meinungsfreiheit den Weltfrieden zu gefährden.“ Und ein Beamter erklärte, dass es unmöglich sei, von der Kinderzimmertür aus zu sehen, was sich auf dem Bett, in dem Lareeb lag, abspielte, das habe sich „im toten Winkel“ befunden.  


Das Verfahren wird am 09.10.2015 fortgesetzt.

 

Brigitta Biehl
2. Vorsitzende peri e.V.
Darmstadt, 02.10.2015
 

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