Birlikte – Zusammenstehen / 7. - 9. Juni 2014

In Köln wurde vom 7. bis zum 9. Juni 2014 an den fremdenfeindlichen NSU-Nagelbombenanschlag vor einem Friseurgeschäft erinnert - mit einem vielfältigen und fröhlichen Straßenfest, an dem auch der Bundespräsident teilnahm. Unsere Rechtsantwältin Brigitta Biehl war vor Ort und berichtet von ihren Eindrücken.

In Köln wurde am Pfingstwochenende 3 Tage lang des Nagelbombenattentats vom 9. Juni 2004 gedacht, das wohl auch dem Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) zuzuordnen ist und damit einen ausländerfeindlichen, menschenverachtenden Hintergrund hatte. Es gab damals glücklicherweise keine Toten zu beklagten; einige Menschen wurden zum Teil schwer verletzt, Läden wurden beschädigt, teilweise zerstört. Die nicht sonderlich lange Keupstraße ist ein Zentrum des türkischen Lebens in Köln, die dortigen Gewerbetreibenden sind fast ausschließlich türkischstämmig. „Birlikte – Zusammenstehen“ beinhaltete neben dem Gedenken Kulturveranstaltungen und die große Abschlussveranstaltung, bei der auch Bundespräsident Gauck zu den Anwesenden sprach.

Gezeigt wurde vom Kölner Schauspielhaus, das derzeit aufgrund der Sanierung in unmittelbarer Nähe der Keupstraße eine Dependance betreibt, das Stück des syrischstämmigen Autors Ibrahim Amir „Habe die Ehre“, etwas plakativ angekündigt als eine „Komödie über Ehrenmord“. Als peri-Mitglied, das sich seit einiger Zeit mit dem Thema befasst, war ich natürlich äußerst gespannt, wie ein derartig ernstes Thema komödiantisch aufgearbeitet werden kann. Es ist dem Autor genauso wie dem Kölner Ensemble gelungen!

Tatsächlich handelt es sich um ein – durchaus spaßiges – Theaterstück, das den Zuschauer in die (den meisten wohl unbekannte) Parallelwelt traditionell patriarchalischer Familien führt: Es sitzen 4 Männer und eine Frau in einer Wohnung, und es kristallisiert sich im Laufe des Stücks heraus, dass es sich bei den Protagonisten um 2 verschwägerte Familien handelt (die Väter hatten sich im Krieg versprochen, dass die Tochter des einen den Sohn des anderen heiraten sollte). Die Tochter hatte ihren Mann mit einem anderen Mann verlassen. Ehemann und Bruder hatten nun das Paar verfolgt, und der Ehemann hatte den Nebenbuhler getötet. Thema in der Wohnung war nun, wer von den Anwesenden die Tochter töten sollte, um die Ehre des Vaters wiederherzustellen. Es war tatsächlich witzig zuzusehen, wie sich die unterschiedlichen Protagonisten mit den unterschiedlichsten Ausreden vor dieser Aufgabe (die allerdings in den Augen aller Anwesenden unbedingt zu erledigen war) zu drücken suchten: der Sohn bzw. Bruder war ein Weichei, das einfach zu viel nachdachte, den Vater plagten Rückenschmerzen, die verhinderten, dass er schießen konnte, der Schwiegervater war schon gar nicht bereit. Viele Dialoge erkannte ich aus den diversen Prozessen, die ich beobachtet habe, wieder. Das Stück nahm rasant Fahrt auf – es endete übrigens ohne den Mord, aber mit der Erkenntnis für jeden Zuschauer, dass Veränderungen nur über die Frauen möglich sind.

Dankenswerterweise ermöglichte das Ensemble anschließend eine Diskussion zwischen Zuschauern und Schauspielern, bei dem dann doch erkennbar wurde, dass die Ensemblemitglieder das Thema doch noch nicht hat, so ganz durchdrungen hatten, fiel doch tatsächlich mal wieder der Satz „bei uns gibt es ja auch Beziehungstaten“. Auf meinen Hinweis, dass beides ja nun gar nicht zu vergleichen sei, fragte man seitens des Ensembles doch tatsächlich nach, was denn einen Ehrenmord ausmacht. Auch der Versuch, immer wieder darauf hinzuweisen, dass unsere Gesellschaft ja gar nicht so weit weg von den Regeln der gezeigten Parallelgesellschaft sei, war nicht sonderlich zielführend, auch wenn man meinen Hinweis, dass mir zu viel relativiert würde, dann doch etwas entschuldigend zurückwies. Nichtsdestotrotz war es ein tolles Stück und ein hochinteressanter Abend. Das lag letztlich an den spannenden Gesprächen, die wir danach noch hatten.

Das Stück ist unbedingt empfehlens- und sehenswert. In Köln wird es wohl im Oktober wieder aufgenommen.

Allerdings zeigte sich gerade hier, dass das Thema „Zusammenstehen“, unter dem die Gedenkveranstaltung ja stand, wohl nicht als „Miteinander“ zu verstehen ist. Zuschauer aus dem Milieu der gezeigten Parallelgesellschaft waren jedenfalls nicht anwesend bis auf zwei junge, türkischstämmige Frauen, die genau dies monierten.

Am Pfingstmontag besuchten wir dann die große Gedenkveranstaltung. Bundespräsident Gauck fand bewegende Worte, mit denen er nicht nur der Opfer der Terrorzelle gedachte, sondern auch eine pluralistische Gesellschaft einforderte: „Im Alltag kann und muss jeder von uns etwas tun, damit Vorurteile und Hass das Miteinander der Vielen und der Verschiedenen nicht vergiften. Wir zeigen, wie wir in unserem Land leben wollen: respektvoll und friedlich. Wir sind verschieden. Aber wir gehören zusammen“. Er erhielt viel Applaus.

Danach taten die Kölner das, was sie am besten können: (sich) feiern. Zahlreiche Musiker traten auf, und es gab eine Zuschaltung der Kölner Fußballerikone Lukas Podolski; Sandra Maischberger und Fatih Cevikkollu führten durch das Programm. Dabei zeigte Letzterer –wahrscheinlich eher unbeabsichtigt-, dass es bis zu einem Miteinander noch ein weiter Weg ist: als er nämlich fragte, ob auch ein paar türkische Zuschauer anwesend seien, meldeten sich einige wenige – schade. Die Türken hielten sich in der Keupstraße auf und betrachteten die Deutschen, die – viele eindeutig zum ersten Mal- durch die Keupstraße schlenderten. Die Deutschen betrachteten die türkischen Geschäfte und konnten mit einem guten Gefühl, sich für Toleranz engagiert zu haben, nach Hause gehen, die wenigsten wird man noch häufiger in der Keupstraße treffen.

Wenn daher der Kölner Stadtanzeiger heute hochtrabend titelt „Triumph für das Miteinander“, so ist dies m.E. ein Wunschbild, das jedenfalls die Veranstaltung nicht hergab: Es war ein Triumph des friedlichen Nebeneinanders. Auch das ist sicher angesichts der Untat, die vor 10 Jahren Köln aufschreckte, nicht zu verachten. Unser Wunsch wäre es, dass aus dem Nebeneinander wirklich ein Miteinander wird.

Das Fest musste dann angesichts des aufkommenden Unwetters vorzeitig abgebrochen werden. Die Veranstalter hatten viel auf die Beine gestellt und damit ein Zeichen gegen Rassismus und rechtsradikales Gedankengut gesetzt; die Zuschauer hatten ihren Spaß und genossen die Festivalstimmung.

Ärgerlich empfinde ich allerdings, dass einer der größten Spaltervereine der Republik, der Zentralrat der Muslime, im Stadtanzeiger zu Wort kommen darf und etwas von „lückenloser Aufarbeitung“ und „vollständiger Entschädigung“ schwallt. Das angeblich wörtliche Zitat „Die Demokratie muss stets die Freiheit jedes Bürgers, ohne Ansehen der Religion oder Herkunft, verteidigen“, sollte gerade dieser Zentralrat doch bitte selber beherzigen und seine Antworten zu den FAQs auf seinem Internetauftritt entsprechend anpassen.

 

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